
Am Ende einer leidenschaftlichen Debatte in der Stadtvertretung steht dennoch das Bekenntnis einer Stadt zur Hilfsbereitschaft.
Norderstedt. Mit ihrem Vorstoß, die Stadtvertretung über eine Resolution zum Thema Flüchtlingshilfe abstimmen zu lassen, haben die Grünen, die Linke und der Freie Wähler Thomas Thedens für eine breit angelegte Diskussion in Norderstedt gesorgt (wir berichteten). In der Sitzung des Parlamentes am Dienstagabend erreichten die Bündnispartner nicht die nötige Mehrheit zur Verabschiedung der Resolution. Während Grüne, die Linke und Thedens gemeinsam mit den Stadtvertretern der SPD auf 16 Ja-Stimmen kamen, gaben die Stadtvertreter von CDU, FDP und AfD 16 Nein-Stimmen ab. Schließlich enthielten sich die Vertreter der WiN der Stimme. Ein Patt bei vier Enthaltungen – die Resolution war abgelehnt.
Doch das Votum gegen die Resolution war kein Votum gegen mehr Flüchtlinge in der Stadt oder gegen die weitere Flüchtlingsarbeit. Die lebhafte Diskussion in der Stadtvertretung, mit guten Argumenten und Redebeiträgen von allen Fraktionen, war ein starkes Bekenntnis der Kommunalpolitik zur Flüchtlings- und Integrationsarbeit in der Stadt.
Selbst die Stadtvertreter der AfD lobten die Norderstedter Flüchtlingsarbeit. Die argumentative Entgleisung zum Thema kam nicht von den Rechts-Konservativen, sondern von Miro Berbig, dem Fraktionschef der Linken. Der verstieg sich im Schlagabtausch mit AfD-Chef Christian Waldheim zu einem ungeheuren Vergleich. Auf Waldheims These, eine Resolution für die Aufnahme von mehr Flüchtlingen in Norderstedt sei nur ein weiteres fatales Signal an kriminelle Schlepperbanden, ihr widerwärtiges Geschäftsmodell im Mittelmeer zu betreiben, sagte Berbig: „Ich stamme aus dem Zonenrandgebiet, da kannten wir viele Schlepper. Die wurden bei uns aber Helden genannt.“
Die Diskussion begann am Dienstagabend mit einer starken Rede von der Initiatorin der Resolution, der grünen Stadtvertreterin Christine Böttcher. Es war ihre erste Rede überhaupt im Parlament. Sie forderte ein Bekenntnis der Stadtvertretung zur Flüchtlingshilfe ein und die Oberbürgermeisterin Elke Christina Roeder dazu auf, sowohl Angela Merkel die Unterstützung bei der Unterbringung von aktuell aus Seenot Geretteten anzubieten, als auch der Landesregierung unter Daniel Günther, die Hilfe der Stadt bei der Unterbringung eines Kontingentes von 500 Geflüchteten zuzusichern, so wie es der Landtag bereits im Juli entschieden hatte. „Ob das überhaupt ein kommunales Thema ist? Ja! Humanität endet nicht am Ortsschild von Norderstedt“, sagt Böttcher.
Die SPD-Fraktion bekannte sich zur Verabschiedung der Resolution. „Wir unterstützen das aus vollster Überzeugung“, sagte SPD-Stadtvertreterin Denise Loeck. „Unsere Stadt ist vorbildlich in der Flüchtlingsarbeit in Schleswig-Holstein. Es ist unsere völkerrechtliche Verpflichtung zu helfen.“
Norderstedt hat seine Hilfsbereitschaft bewiesen
Dass Norderstedt genau das wie kaum eine Kommune unter Beweis gestellt habe, stand für CDU-Fraktionschef Peter Holle außer Frage. „Wir sind weltoffen in Norderstedt! Wir haben eine hervorragende Flüchtlingspolitik betrieben. Das ist auch der Sozialdezernentin Anette Reinders und ihrem Team zu verdanken, die einen Super-Job gemacht haben. Und einem unheimlich motivierten Willkommen-Team, mit Ehrenamtlichen, die sich bis an den Rand der Erschöpfung eingesetzt haben. Diese Resolution hingegen fragt, ob wir vielleicht nicht genug getan haben.“ Es sei nicht die Aufgabe des Norderstedter Parlamentes, über die Bundes- und Landespolitik zu befinden. „Wir sollten über die Probleme der Menschen in Norderstedt diskutieren. In Kiel wurde doch schon im Juli über die Aufnahme von Flüchtlingen entschieden.“
Tobias Mährlein von der FDP unterstellte Grünen, der Linken und Thedens, einen „ideologisch geprägten Schaufensterantrag“ gestellt zu haben, sie schwängen die Moralkeule, forderten Zustimmung zur Resolution, weil man andernfalls zeige, dass man die Hilfsbereitschaft verweigere. „Die Flüchtlingsarbeit in dieser Stadt hat über Jahre deswegen so gut funktioniert, weil sie ideologiefrei betrieben wurde. Diesen Weg verlassen die Antragsteller nun.“
Reimer Rathje von der Wählergemeinschaft Wir in Norderstedt (WiN) sagte, die Fraktion habe lange diskutiert, ob sie sich schuldig mache, wenn sie der Resolution nicht zustimme. „Wir denken nein. Das ist Bundes- und Landespolitik. Es liegt nicht in unserer Gewalt, darüber zu entscheiden.“
Oberbürgermeisterin Elke Christina Roeder meldete sich in der Diskussion nur einmal kurz zu Wort und wies darauf hin, dass ein Kommunalparlament nach Paragraf 27 der Gemeindeordnung kein allgemeines politisches Mandat habe und ohne einen klaren Gemeindebezug nicht über übergeordnete politische Themen diskutieren dürfe. „In diesem Fall haben wir den Bezug aber gesehen und die Resolution zugelassen.“
Beendet wurde die Diskussion schließlich mit dem Schlagabtausch zwischen Berbig (Linke) und Waldheim (AfD). Letzterer schloss sich den Argumenten der CDU voll an. „Es geht hier nicht darum, Menschen in Not nicht helfen zu wollen.“ Aus seiner Sicht sei es nur besser, den Geflüchteten in Ankerzentren vor Ort zu helfen. „Die Flüchtlingskrise wurde sehr gut gemeistert in Norderstedt. Doch falls es jetzt noch Kapazitäten für die Unterbringung in den Flüchtlingsheimen gibt, sollte man schauen, ob die nicht für Bedürftige vor Ort genutzt werden können – ansonsten kann man sie abbauen und Steuern sparen.“
Miro Berbig argumentierte, dass diese von der AfD vertretene These die Alternative für Flüchtlinge sei und er deswegen die Resolution unterstütze. „Die AfD will, dass die Menschen da bleiben, wo sie herkommen. Sie wollen Knäste mit deutschen Schließern in angeblich sicheren Drittstaaten eröffnen.“
Bei der Abstimmung über die Resolution sorgte der Grüne Marc Muckelberg für Aufstöhnen bei der CDU, als er namentliche Abstimmung beantragte, quasi als Gesinnungscheck für die Öffentlichkeit. Stadtpräsidentin Kathrin Oehme und die Oberbürgermeisterin verwiesen auf die Gemeindeordnung: Namentliches Abstimmen sei nur bei Anträgen möglich – nicht bei Resolutionen.
Quelle: PRESSEMELDUNG 58/2018
Doris v. Sayn-Wittgenstein MdL, 9.11.18