Die Klimabewegung tritt mit dem Anspruch auf ein Wahrheitsmonopol an – Demokratie ist für sie nicht die Lösung, sondern ein Hindernis. Dagegen regt sich zu Recht Widerstand.
Kein Thema erhitzt derzeit die Polkappen der Gemüter so sehr wie die Klimabewegung um Greta Thunberg. Die einen sehen in den protestierenden Jugendlichen Weltretter mit prophetischen Fähigkeiten, andere eine Art Weltuntergangssekte. Egal, ob dafür oder dagegen: Auf beiden Seiten nimmt der Eifer inzwischen quasireligiöse Züge an. Im Kern offenbart dies eine Krise der Realitätsvermittlung. Wenn Angst Hirn frisst und Gefühl über Vernunft triumphiert, kollabiert dann vor dem Klima nicht der Diskursapparat?

Der israelische Historiker Jacob Talmon hat einmal zwei Arten von Demokratien unterschieden: die pluralistisch-liberale-dogmenfreie und die totalitäre mit herrschender Doktrin und Denkverboten. In der zweiten Variation gibt es eine Wahrheit a priori, die mit den Mitteln des politischen Messianismus durchgesetzt werden muss. Debatten sind Störfälle. Technokratie und Theokratie geben sich die Klinke in die Hand. Die einzig selig machende Wahrheit wird mit den Mitteln der Wissenschaft alternativlos gemacht, also auf säkulare Weise für sakrosankt erklärt. Wer nachfragt, Differenzierungen fordert oder zweifelt, wird mit dem Etikett des «Leugners» in die Ecke derjenigen gestellt, die glauben, der Mond bestehe aus Roquefort-Käse.
Doch Wissenschaft regiert aus guten Gründen nicht, sie ist nur ein Teilbereich der Gesellschaft. Sie stellt immer nur den gegenwärtigen Stand des Irrtums dar. Vor 150 Jahren war die Viersäftelehre State of the Art in der Medizin, und der angesehene Berliner Aufklärer Friedrich Nicolai kurierte sich mit Blutegeln am Hintern. Wissenschaft taugt zur Realitätsvermittlung nur bedingt: Sie folgt Trends, Forschungsgeldern, Doktrinen und produziert gewünschte Ergebnisse am Fliessband – häufig ohne dass Letztere reproduzierbar sind. Auch Stuss à la «Der Penis ist für den Klimawandel verantwortlich» schaffte es in ein renommiertes Wissenschaftsmagazin.

(Bild: Fabrizio Bensch / Reuters)
Besonders schlecht ist die Bilanz bei Prognosen: Makroökonomie ist eine Art Voodoo; für Ernährungsexperten ist periodisch mal Zucker, mal Fett der Gesundheitskiller – während Wein das Herz stärkt. Geologen irrten schon oft genug über die Menge der Rohstoffressourcen. Aber Klimaforscher wissen nun genau, was in zwanzig Jahren ist? Weil eine 16-jährige Schwedin das erkannt haben will kraft Eingebung von oben? Ein Wunder!
Der grösste Irrtum von Greta und Co.: Wissenschaft beendet Debatten nicht, sie gebiert neue. Alles andere ist undemokratisch. Ein rationalistisches Weltbild ist für die Orientierung in der Welt wichtig und richtig – Wissenschaftsgläubigkeit hingegen ist ein rationales Feigenblatt von säkularen Glaubenskriegern. Ob Rousseau, Comte, Saint-Just oder Robespierre: Alle waren sie Technokraten und wollten Vernunftkulte an der Macht sehen. Letztgenannter rief eine neue Staatsreligion aus und brachte zugleich «Abtrünnige» aufs Schafott. Dass dieses Gedankenerbe nicht auf der Giftmüllhalde der Geschichte ruht, sondern gerade Pate für eine weltweite mediale Hysteriebewegung steht, ist kein zivilisatorisches Ruhmesblatt.
Die Wissenschaft mag gerne recht damit haben, dass der Mensch einen Einfluss auf den Klimawandel hat. Das ist nicht der Punkt. Doch sie sollte sich nicht als Steigbügelhalter für eine moralische Doktrin hergeben, die behauptet, dass tugendhafte Europäer durch Selbstkasteiung, CO2-Fasten und «Flugscham» den Indern, Pakistanern oder Chinesen Lust darauf machten, ebenfalls zu grünen Konvertiten zu werden und so die Welt zu retten. Der Glaube allein versetzt keine Müllberge.